Ausgabe 3/2022, Februar
Abhandlungen
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Maximilian Gerhold, Passau, Der Conseil d’Etat zur Vorratsdatenspeicherung: Auf Biegen und Brechen des Unionsrechts für die nationale Sicherheit?
Die Auseinandersetzung um die Vorratsdatenspeicherung als Brennglas mitgliedstaatlichen und europäischen Verfassungsrechts hat mit einer Entscheidung des französischen Conseil d’Etat einen neuen – über die Vorratsdatenspeicherung hinausgehenden – gerichtlichen Twist erhalten. Der EuGH senkte im Vorjahr auf Vorlage des Conseil d‘Etat seine primärrechtlichen Maßstäbe und rückte von einem strengen Verbot ab. Sobald der Rechtsstreit wieder in Paris ankam, forderte die französische Regierung jedoch das Gericht auf, das Urteil aus Luxemburg als ausbrechenden Rechtsakt unangewendet zu lassen. Die Antwort des Conseil d’Etat ist über Frankreich und den europäischen Gerichtsverbund hinaus von Interesse: Beim EuGH sind Vorlagen des Bundesverwaltungsgerichts zur deutschen Regelung anhängig und zugleich könnte 2022 der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts über Verfassungsbeschwerden hiergegen entscheiden.
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Cara Röhner, Frankfurt a.M., Der diskriminierungsfreie Zugang zu Staatsämtern: Paritätsgesetze als demokratisches Antidiskriminierungsrecht – Zugleich eine Anmerkung zu den aktuellen Paritätsentscheidungen
Recht wird in staatlichen Institutionen erschaffen, durchgesetzt und gesprochen. Personell sind staatliche Institutionen jedoch recht homogen besetzt und repräsentieren nicht die pluralistische Gesellschaft. Die Ungleichheitsforschung hat gezeigt, dass die zahlenmäßige Unterrepräsentation von dominierten Gruppen auf strukturelle Zugangsbarrieren hinweist. In dem Beitrag wird daher argumentiert, dass demokratische Gleichheit über die formale Rechtsgleichheit hinaus eine antidiskriminierungsrechtliche Dimension umfassen muss, um den diskriminierungsfreien Zugang zu Staatsämtern – und in diesem Sinne gerechte Staatlichkeit – zu gewährleisten. Dafür wird zunächst eine demokratietheoretische und antidiskriminierungsrechtliche Begründung für politische Maßnahmen, die einen gleichen Zugang zum Staat gewährleisten sollen, entworfen. Anschließend werden die verfassungsrechtlichen Entscheidungen zu den Paritätsgesetzen diskutiert und eingeordnet.
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Rolf Stober, Hamburg, Zur Instrumentalisierung der IHK für den globalen Menschenrechtsschutz
Zusammen mit der von Kammermitgliedern gerichtlich erzwungenen Organisationsreform des DIHK wurde auch der Wortlaut des § 1 Abs. 1 IHKG geändert. Der Passus betont nunmehr die „Gesamtverantwortung der gewerblichen Wirtschaft“ bei der Interessenvertretung der IHKN sowie die „gesellschaftliche Verantwortung“ der „ehrbaren Kaufleute“. Diese Revision widerspricht dem Zweck der funktionalen Selbstverwaltung, schwächt die Freiheitrechte der Pflichtmitglieder und trägt kaum zur eigentlich beabsichtigten rechtlichen Befriedung bei.
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Uwe Kai Jacobs, Mainz, Analogie und Divergenz – evangelische und staatliche Gerichtsbarkeit im Vergleich
Eher im Stillen arbeitet die Gerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, obwohl ihre Verhandlungen öffentlich sind. Größere Aufmerksamkeit erfährt sie in der Regel erst, wenn ihre Urteile vor den Foren der staatlichen Justiz angefochten werden. Dabei tritt in den Hintergrund, was eigentlich die kirchliche Gerichtsbarkeit ist. Welchen Auftrag hat sie, wie sind Zuständigkeit und Verfahren im Kirchenrecht geregelt? Wie weit reichen Analogien zur staatlichen Gerichtsbarkeit? Dürfen kirchliche und staatliche Justiz miteinander kooperieren? Diese Fragen greift der folgende Beitrag auf.
Buchbesprechungen
- Carl Schmitt, Gesammelte Schriften 1933–1936 – Mit ergänzenden Beiträgen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs (Michael Fuchs)
- Fritz Thiel/Konrad Gelzer/Hans-Dieter Upmeier/Ralf Redeker, Baurechtssammlung, Band 87, Rechtsprechung 2019 (Hansjochen Dürr)
Umfangreiche Rechtsprechung in Leitsätzen
- Ausgewählte Entscheidungen im Volltext finden Sie hier:
- 71. OVG NRW, Beschluss vom 9.9.2021 – 15 B 1468/21 – Nutzungsansprüche politischer Parteien für öffentliche Einrichtungen
- 79. BVerwG, Urteil vom 14.7.2021 – 3 C 2.20 – Anspruch gesetzlicher Krankenkassen auf Information zu Risikobewertungen von Medizinprodukten
- 89. BVerwG, Urteil vom 17.8.2021 – 1 C 26.20 – Keine Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist wegen Nichtbefolgung einer Selbstgestellungsaufforderung oder eines erfolglosen Überstellungsversuchs
- 90. BVerwG, Urteil vom 7.9.2021 – 1 C 47.20 – Bemessung der Geltungsdauer eines im Asylverfahren ergehenden abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots bei im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt nicht abgeschlossener qualifizierter Berufsausbildung
- 93. BVerwG, Urteil vom 24.6.2021 – 5 C 10.19 – Örtliche Zuständigkeit des Trägers der Jugendhilfe für eine der Leistung nach § 19 SGB VIII nachfolgende andere Hilfe
- 96. BVerwG, Beschluss vom 2.6.2021 – 20 F 1.21 – Bindungswirkung einer im in camera-Verfahren ergangenen Entscheidung