Ausgabe 22/2017, November
Abhandlungen
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Gert Armin Neuhäuser, Rinteln, Die „Kohärenz des Rechts“ in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts – Übereinstimmungen, Synonyme und Unterschiede
Das Kohärenzerfordernis wird in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als Schranke mitgliedstaatlicher Beschränkungen der Grundfreiheiten angewandt. Auch im Verfahrensrecht und bei der Abgrenzung der Zuständigkeiten der Unionsorgane, aber auch bei der Auslegung des Unionsrechts selbst statuiert der Gerichtshof ein Kohärenzerfordernis. Der Beitrag klärt die Begrifflichkeiten, analysiert die Rechtsprechung des Gerichtshofs, setzt sie in Relation zu vergleichbaren dogmatischen Figuren des mitgliedstaatlichen Rechts – insbesondere solchen in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts – und zeigt, dass die insoweit bestehenden Unterschiede eher in der Bildung differierender Begrifflichkeiten als im jeweiligen materiellen Gehalt liegen.
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Sabine Weidermann, Stuttgart, Wegfall der Präklusion – Zum praktischen Wert der Öffentlichkeitsbeteiligung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dem Ziel eines weitreichenden Gerichtszugangs für die betroffene Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten den Vorrang vor der verwaltungsprozessualen Anordnung einer materiellen Präklusion von Einwendungen eingeräumt. Als Folge wurden erhebliche Einbußen in der Rechtssicherheit und Verfahrenseffizienz befürchtet. Der Beitrag versucht, diese Bedenken zu widerlegen, indem er aufzeigt, warum ein Fehlen des Einwendungsausschlusses im Rechtsschutzverfahren nicht zur praktischen Entwertung der Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Verwaltungsverfahren führt. Er bezieht dabei auch die Änderungen durch die Novelle des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes 2017 mit ein.
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Walter Frenz, Aachen, Kommunale Organisationshoheit vs. Unionsrecht – § 17 Abs. 3 KrWG doch europarechtswidrig?
Die Sicherung einer funktionsfähigen kommunalen Abfallentsorgung gegen gewerbliche Sammlungen steht für die Grenzen der kommunalen Organisationshoheit durch EU-Sekundärrecht, die Warenverkehrs- und die Wettbewerbsfreiheit. Stimmen die durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2016 gefundenen Grundsätze noch mit den späteren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Parkinson (Doc Morris II) und Remondis zum Abfallzweckverband Hannover überein – oder verstößt danach § 17 Abs. 3 KrWG doch gegen Unionsrecht?
Kleinerer Beitrag
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Timo Schwander, Münster, 25 Vertagungen, aber kein Begräbnis? Die „Ehe für alle“ und der verfassungsrechtliche Anspruch auf Beschlussfassung über Gesetzentwürfe – Zugleich Besprechung von BVerfG, Beschl. v. 14.6.2017 – 2 BvQ 29/17 – (Die Entscheidung finden Sie in diesem Heft, S. 958)
Was das Bundesverfassungsgericht der Opposition nicht zu geben vermochte, erreichte ein Interview der Bundeskanzlerin in der „Brigitte“: Am 30. Juni 2017 beschloss der Bundestag die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Die anschließende Debatte über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes überdeckt freilich die Vorgeschichte der Gesetzentwürfe, die im Bundestag durch die Regierungsmehrheit jahrelang ohne Entscheidung vertagt wurden. Auch der Versuch der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, im Wege des Eilrechtsschutzes eine Abstimmung zu erzwingen, blieb erfolglos. Vielmehr fügt sich der abweisende Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in eine Reihe jüngerer Entscheidungen ein, die die Rechte einer in Zeiten der Großen Koalition ohnehin schwachen Opposition weiter unterminieren.
Buchbesprechungen
- Klaus Ferdinand Gärditz, Atomausstieg ins Grundgesetz? – Zur politischen Grammatik von Verfassungsänderungen (Klaus Schönenbroicher)
- Eva-Maria Stüer/Bernhard Stüer (Hrsg.), Bauen im Außenbereich – Planungs- und Naturschutzrecht in der Praxis (Wolfgang Ziegler)
Rechtsprechung
- BVerfG, Beschluss vom 14.6.2016 – 2 BvQ 29/17 – Unterbliebene Beschlussfassung über Gesetzentwürfe zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare (vgl. Beitrag Schwander)
Umfangreiche Rechtsprechung in Leitsätzen
- Ausgewählte Entscheidungen im Volltext finden Sie hier:
- 681. ThürVerfGH, Beschluss vom 3.5.2017 – VerfGH 52/16 – Prüfungsmaßstab bei einer Landesverfassungsbeschwerde
- 686. BVerwG, Urteil vom 14.6.2017 – 10 C 2.16 – Wählbarkeit von Kreisbediensteten zum Kreistag
- 694. BVerwG, Urteil vom 1.6.2017 – 9 C 4.16 – Zur Zulässigkeit der Enteignung aus besonderem Anlass bei der Unternehmensflurbereinigung
- 695. BVerwG, Urteil vom 4.7.2017 – 9 C 12.16 – Vergütung eines Vertreters im Flurbereinigungsverfahren
- 704. BVerwG, Beschluss vom 17.8.2017 – 9 VR 2.17 – Straßenplanung; Maßnahmen zur Vorbereitung der Baudurchführung
- 705. VGH BW, Urteil vom 29.8.2017 – 10 S 30/16 – Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms beim Führen eines Kraftrads; Glaubensfreiheit
- 706. NdsOVG, Beschluss vom 7.9.2017 – 12 ME 249/16 – Straßenverkehrsrechtliche Vollsperrung einer Brücke
- 707. BVerwG, Urteil vom 27.7.2017 – 1 C 28.16 – Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen wegen Unterstützung der PKK
- 712. BVerwG, Beschluss vom 31.7.2017 – 10 B 26.16 – Zuwendung; Bedingung; bedingendes Ereignis