Ausgabe 18/2021, September
Thematischer Schwerpunkt: Zur Tagung 2021 der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
Abhandlungen
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Klaus Rennert/Ulf Domgörgen, Leipzig, Horst-Sendler-Preis des Bundesverwaltungsgerichts
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Andreas Dietz, Augsburg, „Gnade vor Recht“? – Härtefallkommissionen nach § 23a AufenthG im Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft
Die Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer wird von ihren Unterstützern und einigen gesellschaftlichen Institutionen als Härte empfunden, insbesondere, wenn der Rechtsweg erfolglos beschritten worden ist. Als Ventil für ihren Unmut sieht das Ausländerrecht über die dortigen Härteklauseln hinaus in § 23a AufenthG eine Befugnis der Bundesländer vor, aus gesellschaftlichen Gruppen Härtefallkommissionen zu bilden und auf deren Votum hin in Fällen, in denen von Rechts wegen kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf, dennoch durch eine nicht justiziable Härtefallentscheidung als „Gnadenakt“ einen humanitären Aufenthaltstitel zu erteilen. Unter Einbeziehung einer Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs werden Stellung und Funktion der dem Ausländerrecht systemfremden Härtefallkommissionen untersucht und – zum Ausgleich für ihre fehlende gerichtliche Kontrolle – ihre verstärkte parlamentarische Kontrolle vorgeschlagen.
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Hannah Birkenkötter, Berlin/Mexiko-Stadt, Zugang zur Völkerrechtssetzung: Demokratische Legitimationsdefizite in der transnationalen Rechtsordnung am Beispiel der 2030 Agenda für Nachhaltige Entwicklung
Das Völkerrecht wirkt zunehmend in nationale Rechtsordnungen hinein, allerdings vermittelt: Die Verschränkung nationaler und internationaler Rechtsordnungen ist heute durch die Abwesenheit von Linearität und die Gleichzeitigkeit verschiedener Prozesse von Rechtssetzung und -umsetzung geprägt. Der vorliegende Beitrag beschreibt diese Entwicklungen anhand der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung, die 2015 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Es wird zunächst die Verhandlungsgeschichte der Agenda 2030 und ihre institutionelle Verankerung dargestellt, und sodann Rekursivität, d.h. die Interaktion verschiedener Akteure auf unterschiedlichen Ebenen hinsichtlich des konkreten normativen Gehalts der Agenda, als zentrales Merkmal heutigen transnationalen rechtlichen Ordnens herausgearbeitet. Der Beitrag schließt mit Erwägungen dazu, warum diese Art des Völkerrechts vor neuartigen Fragen demokratischer Legitimation steht und wie diesen begegnet werden kann.
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Veronika Thalhammer, Bayreuth, Das umstrittene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Ein juristischer Blick auf Kritik aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik
Über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird nicht erst seit dessen Verabschiedung im Bundestag im Juni 2021 intensiv diskutiert. So wird etwa vorgebracht, das Gesetz verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und verletze Unternehmen in ihrer Berufsfreiheit. Demgegenüber wird von anderer Seite eine viel zu milde Ausgestaltung angemahnt. Der Beitrag analysiert einige der kritischen Stimmen aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts, des Unionsrechts sowie des Völkerrechts. Während insgesamt nur im Detail Nachbesserungsbedarf besteht, ist jedoch der „Export“ der im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz enthaltenen Standards völkerrechtlich kritisch zu sehen.
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Arne Schneider/Stephan StĂĽber, Hamburg, Klimawandel als Ausnahme von der Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse gilt für den Bund seit 2016 und seit Beginn des Haushaltsjahres 2020 auch in allen Ländern. Gleich in den ersten beiden Anwendungsjahren wird aufgrund der Herausforderungen der COVID-19-Pandemie von deren Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht. Danach ist es im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, zulässig, die Einnahmen und Ausgaben eines Haushaltsplans mithilfe von Einnahmen aus einer Kreditaufnahme auszugleichen. Der Beitrag geht der Frage nach, ob auch der Klimawandel die Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestands erfüllt, und gelangt zu einem negativen Ergebnis.
Buchbesprechung
- Martin Ebers/Christian Heinze/Tina Krügel/Björn Steinrötter (Hrsg.), Künstliche Intelligenz und Robotik – Rechtshandbuch (Heinrich Amadeus Wolff)
Rechtsprechung
- ThürVerfGH, Urteil vom 16.12.2020 – VerfGH 14/18 – Tätigkeit der Thüringer Härtefallkommission (vgl. Abhandlung Dietz)
Umfangreiche Rechtsprechung in Leitsätzen
- Ausgewählte Entscheidungen im Volltext finden Sie hier:
- 521. EuGH, Urteil vom 3.6.2021 – C-546/19 – BZ – Aufrechterhaltung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots
- 522. EuGH, Urteil vom 3.6.2021 – C-194/20 – BY u.a. – Aufenthaltsanspruch aus Art. 9 Satz 1 ARB 1/80
- 523. EuGH, Urteil vom 10.6.2021 – C-901/19 – CF u.a. – Subsidiärer Schutz; Beurteilung des Grads willkürlicher Gewalt
- 524. EuGH, Urteil vom 10.6.2021 – C-921/19 – LH – Prüfungsmaßstab im Folgeverfahren; neue Beweismittel
- 525. EuGH, Urteil vom 10.6.2021 – C-94/20 – Land Oberösterreich – Anspruch langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger auf Wohnbeihilfe
- 526. EuGH, Urteil vom 22.6.2021 – C-718/19 – Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a. – Abschiebungshaft für Unionsbürger
- 527. EuGH, Urteil vom 22.6.2021 – C-719/19 – FS – Zeitliche Wirkung der Ausweisung eines Unionsbürgers
- 528. BVerfG, Beschluss vom 27.4.2021 – 2 BvE 4/15 – Verletzung von Unterrichtungspflichten der Bundesregierung beim dritten Hilfspaket für Griechenland
- 529. VerfGH Rheinl.-Pf., Beschluss vom 14.5.2021 – VGH O 23/21 – Ausübung des Hausrechts des Landtagspräsidenten gegenüber einer Fraktion
- 537. BVerwG, Urteil vom 25.2.2021 – 3 C 1.20 – Bezug von Arzneimitteln bei einem Schweizer Lieferanten
- 553. BVerwG, Urteil vom 18.2.2021 – 1 C 4.20 – Zumutbarkeit der Niederlassung nur bei Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums am Ort des internen Schutzes
- 557. BVerwG, Urteil vom 25.1.2021 – 9 C 8.19 – Rechtsbehelfsbelehrung ohne Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung der Klage
- 558. BVerwG, Beschluss vom 8.4.2021 – 9 B 28.20 – Unterschiedliche Auslegung von OVG und BGH zur hypothetischen Festsetzungsverjährung