Ausgabe 7/2014, April
Abhandlungen
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Robin Geiß, Glasgow, Europäischer Grundrechtsschutz ohne Grenzen?
Mit den Urteilen Åkerberg Fransson und Melloni hat der EuGH wegweisende Weichenstellungen für das Verhältnis der mitgliedstaatlichen Grundrechte zu den Unionsgrundrechten vorgenommen. Im Urteil Åkerberg Fransson spricht sich der EuGH unmissverständlich und grundsätzlich für einen weitgezogenen Anwendungsbereich der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus, die „in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen“ zur Anwendung kommen soll. Darüber hinaus folgt aus dem Zusammenspiel dieses Urteils mit dem am selben Tag ergangenen Urteil Melloni, wie der EuGH das Verhältnis der nationalen Grundrechte zu den Unionsgrundrechten innerhalb dieses weitgezogenen Anwendungsbereichs zukünftig verstanden wissen will. Dort sollen gemäß dem Urteil Melloni (schutzintensivere) nationale Grundrechte künftig nur noch dann zur Anwendung kommen, wenn sie mit dem „Vorrang, [der] Einheit und [der] Wirksamkeit des Unionsrechts“ in Einklang stehen.
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Frank Selbmann, Leipzig, Kriegsschäden ohne Folgen? – Zu den Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren „Brücke von Varvarin“
Der Beitrag geht der Frage nach, ob individuelle Entschädigungsansprüche für Verletzungen von Normen des humanitären Völkerrechtes und der EMRK im Rahmen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr bestehen. Grundlage der Betrachtung bildet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren „Brücke von Varvarin“. Während das Bundesverfassungsgericht im Varvarin-Verfahren einen Entschädigungsanspruch für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verneinte, bejahte der Hoge Raad der Niederlande im September 2013 in zwei Srebrenica-Verfahren für Verstöße gegen die EMRK im Rahmen von Friedensmissionen der Vereinten Nationen individuelle Entschädigungsansprüche der Opfer. Aus diesen Entscheidungen können Folgerungen für künftige vergleichbare Verfahren geschlossen werden.
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Birgit Kessler, Berlin/Tim René Salomon, Hamburg, Die Klagebefugnis aufgrund Völkergewohnheitsrechts im Verwaltungsprozess am Beispiel des Gewaltverbots
Die Bedeutung des Art. 25 GG ist in ihren Details seit langem umstritten. Die wissenschaftliche Diskussion dreht sich insbesondere um die Frage, ob und inwiefern die Anordnung des Art. 25 Satz 2 Hs. 2 GG einen konstitutiven Gehalt hat, insbesondere, ob durch sie auch nicht individualgerichtete Normen des Völkergewohnheitsrechts in das nationale Recht übernommen werden und nach der Transformation eine Subjektivierung erfahren, also Rechte und Pflichten des Einzelnen begründen. Das Verwaltungsgericht Köln hielt vor kurzem, eine in der Wissenschaft vertretene Ansicht zugrunde legend, einen aus dem Gewaltverbot i.V.m. Art. 25 Satz 2 Hs. 2 GG hergeleiteten Unterlassungsanspruch einer natürlichen Person gegenüber mutmaßlich völkerrechtswidrigen Handlungen für möglich. Diese Ansicht soll kritisch gewürdigt werden.
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Stefan Birkner, Hannover, Die umstrittene Seegrenze zwischen den Niederlanden und Deutschland
Auseinandersetzungen über Grenzverläufe sind in den internationalen Beziehungen und im Völkerrecht ein bekanntes und immer wiederkehrendes Phänomen. Selbst innerhalb der Europäischen Union sind die Staatsgrenzen nicht umfassend geklärt, wie beispielsweise die Seegrenze zwischen dem Königreich der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland zeigt. Für einen langen Zeitraum besaß diese offene Grenzfrage aufgrund pragmatischer Regelungen keine praktische Relevanz. Mit der Errichtung eines Offshore-Windparks in dem umstrittenen Seegebiet hat sich dies geändert. Der Beitrag behandelt vor diesem Hintergrund die Frage der Abgrenzung des deutschen und des niederländischen Küstenmeeres nach den Regeln des Völkerrechtes.
Buchbesprechungen
- Tobias Kruis, Der Anwendungsvorrang des EU-Rechts in Theorie und Praxis(Wolfgang WeiĂź)
- Miriam Freudenberger, Bürgerdialoge in der Europäischen Union – der Weg in eine europäische Öffentlichkeit? (Cristina Fraenkel-Haeberle)
- Dieter Hömig (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommentar; 10. Auflage (Matthias Wiemers)
- Robert Michels, Der Patriotismus; 2. Auflage (Michael Fuchs)
- Erich Rehn/Ulrich Cronauge/Hans-Gerd von Lennep/Hanspeter Knirsch, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar; 3. Auflage, zugleich 39. Erg.-Lfg., Stand Juli 2013 (Klaus Schönenbroicher)
Rechtsprechung
- EuGH (Große Kammer), Urteil vom 26.2.2013 – C-617/10 – Åkerberg Fransson
- EuGH (Große Kammer), Urteil vom 26.2.2013 – C-399/11 – Melloni